Eines der Themen im "Vorleser" ist Analphabetismus. Zu diesem Thema haben wir Texte geschrieben. Hier sind einige davon.
Mein Tagesablauf ist immer derselbe. Ich weiß, wo und wann ich irgendwo sein soll und mit welcher Bahn ich fahren muss. Manchmal nehme ich auch das Fahrrad, aber nur, wenn ich die Bahn verpasse. Ich bin nämlich eine Analphabetin, das heißt, ich kann nicht lesen und schreiben. Deswegen muss ich immer das Gleiche machen, sonst weiß ich nicht weiter. Ich war nie in der Schule, hatte als Kind einfach nie Lust. Ich schwänzte dauernd, auch schon als kleines Mädchen. Später ging ich einfach gar nicht mehr zur Schule und meine Eltern gaben auf. Sie hatte keine Lust mehr, mir immer zu sagen, wie wichtig die Schule ist. Sie wollten mich nicht mehr anschreien, wenn sie herausfanden, dass ich wieder einmal die Schule geschwänzt hatte. Also gaben sie einfach auf. Als kleines Kind konnten sie noch versuchen, mich zu zwingen zur Schule zu gehen, ab und zu halt, aber je älter ich wurde, desto mehr war es mir egal. Ich habe nie darüber nachgedacht, was für Konsequenzen es haben könnte.
Doch etzt, als 30jährige Frau, ist mir das alles klar. Ich habe meine Kindheit versäumt. Dachte, das Schwänzen „cool“ sei und dass die Lehrer doof. Wenn ich jetzt daran denke, werde ich nur traurig, denn als 30jährige Frau das Lesen und Schreiben zu lernen ist unglaublich schwer. Ich hatte nie gedacht, dass ich es doch noch einmal lernen würde, doch dann traf ich Herbert. Wir trafen uns das erste Mal, als ich ihn mit meinem Fahrrad anfuhr. Zum Glück ist ihm nichts passiert, aber ich habe mich sofort in ihn verguckt. Er war so nett zu mir, ein richtiger Gentleman. Wir unterhielten uns eine Weile und dann musste er auch schon los. Das nächste Mal, als wir einander sahen, war in der Bahn. Ich war gerade auf dem Weg nach Hause nach der Arbeit. Ich bin eine Putzfrau, verdiene damit mein Geld. Ich erkannte ihn sofort wieder, war aber zu schüchtern um mit ihm zu reden. Als er mich bemerkte, lächtelte und fing an mit mir zu reden. Er sprach über unglaublich interessante Sachen. Ich wusste sowenig davon, weil ich nicht lesen kann. Einen Fernsher kann ich mirt von meinem bisschen Gehalt nicht leisten. Dann reichte er mir eine Zeitung und sagte: „Hier, lies mal selbst“. Sofort geriet ich vollkommen in Panik und sagte leise: „Entschuldige, ich muss an der nächtsen Haltestelle raus“ und stand auf. Er kam hinter mir her, fragte, warum ich so blass sei und ob es mir gut ginge und wohin ich denn so eilig müsse. Bevor ich ausstieg, gab er mir seine Telefonnummer.
Tagelang meldete ich mich nicht bei ihm. Ich starrte nur immer auf die Zeitung, die in der Ecke meines kleinen Wohnzimmers lag. Doch dann nahm ich meinen ganzen Mut zusammen und rief ihn an. Es hatte ganz schön lange gedauert, bis ich die Zahlen auf dem Telefon in der Zelle an der Straßenecke wiedererkannt hatte. Er nahm ab und als ich sagte, wer ich bin, freute er sich sehr. Wir sprachen miteinander, dann fragte er mich, ob wir uns in einer Stunde im Cafe Java treffen wollten. Überglücklich stimmte ich zu, ich machte mich schick und ging los. Dann stand er auch schon am Eingang und wartete auf mich. Ertst als wir uns hingesetzt hatten und der Kellner mir die Karte reichte, wurde mir schlecht. Ich war noch nie in diesem Cafe gewesen, wusste nicht genau, was auf der Karte stand. Mir wurde ganz schwindlig. Als der Kellner zurückkam, sagte ich, ich nähme einfach dasselbe wie Herbert. Herbert schaute mich nur komisch an, verstand nicht, warum ich nicht einmal auf die Karte geguckt hatte. Ich log und sagte, ich sei schon einige Male hier gewesen. Das erste Treffen war wundervoll. So trafen wir uns öfter und hatten sogar unseren ersten Kuss nur ein paar Tage später.
Ich fühlte mich wie im siebten Himmel. Wir unterhielten nuns über alles Mögliche. Eines Tages kam er zu mir mit einem Buch. Ich müsse das unbedingt lesen. Einfach ein tolles Buch. Doch als ich sagte, ich hätte keine Lust, dazu, wurde er skeptisch. Dann sah ich seinen Gesichtsausdruck. Er war, als ob plötzlich eine Lampe in seinem Kopf angegangen war. Er begann, mir soviele Fragen zu stellen, und ich bekam Kopfschmerzen. Da brach ich zusammen und erzählte ihm alles, vom Schwänzen in der Schule, von meinem Alltag, wie schwer es ist, Analphabetin zu sein, und wie ich mich jeden Morgen darüber ärgere, dass ich damals das Lesen und Schreiben einfach so vernachlässigt habe. Er sah mich schockiert an und sagte gar nichts. Nach meiner beichte war ich still und sah ihn mit traurigen Augen an. Ich schämte mich so, doch ich wollte ihn auch nicht verlieren. Ich hatte schon öfter Bezeigungen, doch keine hat mir so viel bedeutet wie die mit Herbert. Wir sahen uns nur an, sagten kein Wort, bis Herbert sagte "Gut, dann bring ich dir halt das Lesen bei". Ich war überglücklich!! 3 Monte hatte ich ihn angelogen und ich war sicher gewesen, dass er sich umdrehen und gehen würde.
Doch er ist geblieben, und jetzt kommt er jeden Mittwoch zu mir und hilft mir, Lesen und Schreiben zu lernen. Wir treffen uns auch öfter in der Woche und sind jetzt ganz offiziell ein Paar. Ich hätte nie gedacht, dass ich soviel Glück im Leben haben werde!
Julia
Oliver und Meike sind ein Paar. Von außen ein ganz normales Paar, zusammen schlendern sie durch die Stadt und reden, lachen, gehen in Läden hinein. Doch ein großes Problem belastet die junge Beziehung. Oliver ist Analphabet, kann weder lesen noch schreiben
Meike weiß von diesem Problem. Sie hat es sofort erkannt, als Oliver im Kino die Preisliste nicht lesen konnte. Sie hat ihn aber nicht abgelehnt, sondern setzt sich für Oliver ein. Sie hat es geschafft, dass Oliver seinen Namen schreiben kann. Jeden Tag liest sie ihm etwas vor, und er muss es wiederholen, so oft, bis er es kann. Oliver fällt es schwer zu lernen, wie man liest, doch das Schreiben fällt ihm etwas leichter: er ist dankbar eine Freundin wie Meike zu haben. Er beschreibt sie als geduldig, ehrgeizig und verantwortungsbewusst.
Der Alltag mit Oliver ist für Meike nicht immer einfach: auch wenn sie einen Partner hat, muss sie fast alles alleine machen: einkaufen, Rechnungen bezahlen, Formulare ausfüllen, Post elesen, Essen kochen usw. Denn Oliver kann weder Preisschilder noch Post oder Rezepte lesen. Doch Oliver versucht so gut wie möglich Meike zu helfen, er trägt die Taschen, er putzt und manchmal kocht er das Essen, denn Meike hat ihm einige Rezepte beigebracht, mit viel Mühe und Ehrgeiz. Doch das sind nur ein paar der Probleme. Oliver kann keine Kleidung alleine kaufen, weder Autofahren noch mit der Bahn fahren, und er ist arbeitslos. Meike fühlt sich zwar gestresst, aber sie hält zu ihm und geht arbeiten und ganz nebenbei bringt sie ihm bei, wie man liest und schreibt.
Doch auch für Oliver ist es nicht einfach: sein größtes Problem: er schämt sich. Die Tatsache, dass er nicht lesen und schreiben kann, ist ihm überaus peinlich. Er steht immer unter dem Druck, seine Probleme zu verstecken. Er lebt ständig mit der Angst, ausgelacht, gemobbt oder einfach nur ausgeschlossen zu werden.
Meike jedoch ist der Meinung, Oliver sei noch jung, 22 Jahre ist er, jetzt sei noch Zeit zum Lernen. Der Plan, der am Kühlschrank hängt, ist ein wichtiges Teil im Leben der Beiden. Jeden Tag zu einer festen Zeit üben , bis er es kann, ihr Moto ist „Übung macht den Meister“. Oliver fällt es schwer, doch er kämpft für einen Traum: selbstständig zu sein, es Tages eine Familie zu gründen und Verantwortung zu übernehmen.
Irgendeines Tages wird sein Traum in Erfüllung gehen, und bis es soweit ist, unterstützt ihn Meike. Gestern hat Oliver über ein Angebot der Volkshochschule gehört, wo man einen Alphabetisierungskurs belegen kann. Meike ist froh, denn nun haben sie ein bisschen mehr Zeit füreinander und Oliver bekommt eine neue Chance, die er mit strahlendem Gesicht annimmt.
Kurz bevor er am nächtsen Tag mit dem Rad losfährt, zu seiner ersten Stunde, dreht er sich nocheinmal um. „Danke, Meike, ohne dich hätte ich es nie geschafft.“
Es liegt noch viel Arbeit vor Oliver, jedoch zusammen mit Meike hat er einen Grundstein für ein positives Leben gesetzt.
Melanie
Ich saß auf der ersten Stufe. Es begann zu schneien. In dem Moment kamen Kinder aus ihren Häusern gestürmt und fingen an, im Schnee zu spielen. Ich saß einfach da und ließ die Schneeflocken auf meine Hand fallen. Die Schneeflocken waren schön, sie fühlten sich kalt und gut auf meiner Hand an. Ich bin mir nicht ganz sicher, wie lange ich dort saß, doch auf einmal war die Sonne fast weg und das Gelächter von den Kindern war verschwunden. Ich musste lachen und konnte nicht mehr aufhören. Alles war so perfekt und ich war zum ersten Mal in meinem Leben richtig glücklich.
Es fing alles vor ein paar Jahren an. Ich hatte keine Freunde, keine Geschwister und meine Eltern waren gestorben. Ich war ganz allein, doch für mich war das normal. Ich war anders. Schon immer gewesen. Leider starben meine Eltern, als ich erst drei war. Ich musste in ein Kinderheim für Arme. Dort gab es keine richtige Schule, keine guten Lehrer, niemand kümmerte sich um mich und deshalb lernte ich nie lesen und schreiben. Dabei war ich gar nicht dumm. Aber alles fiel mir schwer. Mir war das im späteren Leben so peinlich. Ich konnte kein Konto eröffnen, keine Uhren lesen und keine gute Arbeitsstelle bekommen. Ich konnte ja nicht lesen.
Als ich 24 war, nahm ich mehrmals am Tag die LUAS um mir das „Leben“ beizubringen. Es gab einen Plan im LUAS, wo die ganzen Haltestellen draufstanden. An jeder Station sagte immer eine Stimme „Sie sind in Windy Arbour“ oder „Sie sind in Beechwood“. Ich dachte, das würde mir helfen, die Buchtsaben zu entziffern, doch es funktionierte nicht. „Brauchen Sie Hilfe? Suchen Sie nach etwas?“ Ich dehte mich um. Vor mir stand ein junger Mann, etwa Mitte Zwanzig, braune Haare, grüne Asugen, gut angezogen.
„Um, eigentlich nicht. Ich willte nur.., ehm, ich meine..“ stammelte ich. „Haha“ lachte er. „ Na gut, ich heiße Stefan. Und Sie?“ fragte er mich. „Ich? Ich heiße Lisa“. „Lisa. Lisa. Sehr schön. Sagen Sie, hätten Sie vielleicht Lust mit mir eine Tasse Kaffe zu trinken? Ich würde mich sehr über Gesellschaft freuen“, fragte er.
Ich bin mir nicht ganz sicher, warum ich zum Kaffe trinken gegangen bin. Vielleicht, weil er so gut aussah. Vielleicht, weil ich ja nur Kaffee bestellen musste und das konnte ich auch so. Ich bin also mit ihm mitgegangen. Und das dann noch öfter.
Doch dann geschah es, wie es kommen musste. „Du trinkst immer nur Kaffee. Du sagtest doch, du seist durstig. Hier, nimm die Getränkekarte“ sagte er und reichte sie mir, „Nein“, rief ich, „ich meine wirklich, der Kaffee schmeckt prima. Und ich habe keinen Durst mehr. Nein danke.“ Er sah mich merkwürdig von der Seitze her an. Er wusste es. Ich wusste, dass er es wusste.
Die nächsten drei Jahre waren himmlisch. Ich erzählte Stefan alles. Er hatte es schon geahnt. Er hörte mir zu und wollte mir dann auch helfen. „Lisa, ich liebe dich, und ich will dir beim Lesen und Schreiben halfen. Ich bin Lehrer. Wir schaffen das schon“. So fing es an. Jeden Tag musste ich etwas lesen und schreiben. Es hat lange gedauert und wir haben uns so oft gestritten. Aber auch wieder versöhnt.
Fünf Jahre später, und wir sind immer noch zusammen. Seit gestern sogar verlobt.
Es wird dunkel, ich gehe rein.
Anna
Der Abschiedsbrief von Hanna
Jungchen,
deine Kassetten habe ich immer noch. Ich habe jede einzelne gehört. Deine Stimme ist tiefer geworden, Jungchen. Hast du jemals an früher gedacht? An das Baden und an das Lieben? Ich wollte dir sagen, dass ich weggehen wollte, doch du warst bei deinen Freunden und dahin hast du auch gehört. Das war am See, an dem Tag, an dem ich dann weg gegangen bin.
Auch beim Prozess habe ich dich gesehen, wie gut du da in deinem Anzug ausgesehen hast. Muss dich wohl schockiert haben.
Alles, was ich getan habe, ist unentschuldbar, und ich verlange keine Vergebung. Doch möchte ich, dass du weisst, dass ich es bereue. Ich habe nachgeforscht und ich verstehe jetzt viel mehr. Das hat mich zu einer Entscheidung gebracht. Als wir uns gesehen haben, war es nicht so wie früher, und es wird auch nie wieder so sein.
Also nehme ich dir die Bürde ab, dich um mich zu kümmern, und bitte auch alle um Verzeihung, die wegen mir Familie, Freunde und Liebende verloren haben.
Leb wohl.
Deine Hanna
Lara
Lieber Michael,
wegen dir kann ich jetzt lesen. Wegen dir kann ich jetzt schreiben. Du hast mir viel geholfen. Ich kann mich dafür nicht genug bedanken.
Die letzten paar Jahre im Gefängnis waren immer gleich. Ich habe nicht viel gemacht, doch ich musste immer an dich denken und an unseren Sommer, 1959. Ich hatte eine schäme Zeit. Ich kann dich verstehen, wenn du mir nicht verzeihst, aber ich habe deine Hilfe geschätzt.
Bald komme ich raus. Soll neu anfangen, doch du kannst dir nicht vorstellen, wie ich mich dabei fühle. Du hast ein Leben, ein Haus, eine Arbeit. Ich habe gar nichts. Nicht einmal mein Jungchen.
Ich kann mir kein neues Leben vorstellen. Ich bin älter geworden. Ich gehöre nichtmehr zu euch. Für andere geht das Leben weiter, weil sie einen Grund haben zum Leben. Aber ich habe kein Leben mehr. Ich würde es draussen nicht lange aushalten. Es tut mir Leid, aber ich kann es einfach nicht mehr ertragen.
Danke für die Kassetten, den Brief und deine Hilfe.
Es hat alles keinen Sinn mehr. Mein Leben ist schon lange vorbei.
Weine nicht Jungchen. Ich habe etwas für dich hinterlassen.
Hanna
Anna
Doch etzt, als 30jährige Frau, ist mir das alles klar. Ich habe meine Kindheit versäumt. Dachte, das Schwänzen „cool“ sei und dass die Lehrer doof. Wenn ich jetzt daran denke, werde ich nur traurig, denn als 30jährige Frau das Lesen und Schreiben zu lernen ist unglaublich schwer. Ich hatte nie gedacht, dass ich es doch noch einmal lernen würde, doch dann traf ich Herbert. Wir trafen uns das erste Mal, als ich ihn mit meinem Fahrrad anfuhr. Zum Glück ist ihm nichts passiert, aber ich habe mich sofort in ihn verguckt. Er war so nett zu mir, ein richtiger Gentleman. Wir unterhielten uns eine Weile und dann musste er auch schon los. Das nächste Mal, als wir einander sahen, war in der Bahn. Ich war gerade auf dem Weg nach Hause nach der Arbeit. Ich bin eine Putzfrau, verdiene damit mein Geld. Ich erkannte ihn sofort wieder, war aber zu schüchtern um mit ihm zu reden. Als er mich bemerkte, lächtelte und fing an mit mir zu reden. Er sprach über unglaublich interessante Sachen. Ich wusste sowenig davon, weil ich nicht lesen kann. Einen Fernsher kann ich mirt von meinem bisschen Gehalt nicht leisten. Dann reichte er mir eine Zeitung und sagte: „Hier, lies mal selbst“. Sofort geriet ich vollkommen in Panik und sagte leise: „Entschuldige, ich muss an der nächtsen Haltestelle raus“ und stand auf. Er kam hinter mir her, fragte, warum ich so blass sei und ob es mir gut ginge und wohin ich denn so eilig müsse. Bevor ich ausstieg, gab er mir seine Telefonnummer.
Tagelang meldete ich mich nicht bei ihm. Ich starrte nur immer auf die Zeitung, die in der Ecke meines kleinen Wohnzimmers lag. Doch dann nahm ich meinen ganzen Mut zusammen und rief ihn an. Es hatte ganz schön lange gedauert, bis ich die Zahlen auf dem Telefon in der Zelle an der Straßenecke wiedererkannt hatte. Er nahm ab und als ich sagte, wer ich bin, freute er sich sehr. Wir sprachen miteinander, dann fragte er mich, ob wir uns in einer Stunde im Cafe Java treffen wollten. Überglücklich stimmte ich zu, ich machte mich schick und ging los. Dann stand er auch schon am Eingang und wartete auf mich. Ertst als wir uns hingesetzt hatten und der Kellner mir die Karte reichte, wurde mir schlecht. Ich war noch nie in diesem Cafe gewesen, wusste nicht genau, was auf der Karte stand. Mir wurde ganz schwindlig. Als der Kellner zurückkam, sagte ich, ich nähme einfach dasselbe wie Herbert. Herbert schaute mich nur komisch an, verstand nicht, warum ich nicht einmal auf die Karte geguckt hatte. Ich log und sagte, ich sei schon einige Male hier gewesen. Das erste Treffen war wundervoll. So trafen wir uns öfter und hatten sogar unseren ersten Kuss nur ein paar Tage später.
Ich fühlte mich wie im siebten Himmel. Wir unterhielten nuns über alles Mögliche. Eines Tages kam er zu mir mit einem Buch. Ich müsse das unbedingt lesen. Einfach ein tolles Buch. Doch als ich sagte, ich hätte keine Lust, dazu, wurde er skeptisch. Dann sah ich seinen Gesichtsausdruck. Er war, als ob plötzlich eine Lampe in seinem Kopf angegangen war. Er begann, mir soviele Fragen zu stellen, und ich bekam Kopfschmerzen. Da brach ich zusammen und erzählte ihm alles, vom Schwänzen in der Schule, von meinem Alltag, wie schwer es ist, Analphabetin zu sein, und wie ich mich jeden Morgen darüber ärgere, dass ich damals das Lesen und Schreiben einfach so vernachlässigt habe. Er sah mich schockiert an und sagte gar nichts. Nach meiner beichte war ich still und sah ihn mit traurigen Augen an. Ich schämte mich so, doch ich wollte ihn auch nicht verlieren. Ich hatte schon öfter Bezeigungen, doch keine hat mir so viel bedeutet wie die mit Herbert. Wir sahen uns nur an, sagten kein Wort, bis Herbert sagte "Gut, dann bring ich dir halt das Lesen bei". Ich war überglücklich!! 3 Monte hatte ich ihn angelogen und ich war sicher gewesen, dass er sich umdrehen und gehen würde.
Doch er ist geblieben, und jetzt kommt er jeden Mittwoch zu mir und hilft mir, Lesen und Schreiben zu lernen. Wir treffen uns auch öfter in der Woche und sind jetzt ganz offiziell ein Paar. Ich hätte nie gedacht, dass ich soviel Glück im Leben haben werde!
Julia
Oliver und Meike sind ein Paar. Von außen ein ganz normales Paar, zusammen schlendern sie durch die Stadt und reden, lachen, gehen in Läden hinein. Doch ein großes Problem belastet die junge Beziehung. Oliver ist Analphabet, kann weder lesen noch schreiben
Meike weiß von diesem Problem. Sie hat es sofort erkannt, als Oliver im Kino die Preisliste nicht lesen konnte. Sie hat ihn aber nicht abgelehnt, sondern setzt sich für Oliver ein. Sie hat es geschafft, dass Oliver seinen Namen schreiben kann. Jeden Tag liest sie ihm etwas vor, und er muss es wiederholen, so oft, bis er es kann. Oliver fällt es schwer zu lernen, wie man liest, doch das Schreiben fällt ihm etwas leichter: er ist dankbar eine Freundin wie Meike zu haben. Er beschreibt sie als geduldig, ehrgeizig und verantwortungsbewusst.
Der Alltag mit Oliver ist für Meike nicht immer einfach: auch wenn sie einen Partner hat, muss sie fast alles alleine machen: einkaufen, Rechnungen bezahlen, Formulare ausfüllen, Post elesen, Essen kochen usw. Denn Oliver kann weder Preisschilder noch Post oder Rezepte lesen. Doch Oliver versucht so gut wie möglich Meike zu helfen, er trägt die Taschen, er putzt und manchmal kocht er das Essen, denn Meike hat ihm einige Rezepte beigebracht, mit viel Mühe und Ehrgeiz. Doch das sind nur ein paar der Probleme. Oliver kann keine Kleidung alleine kaufen, weder Autofahren noch mit der Bahn fahren, und er ist arbeitslos. Meike fühlt sich zwar gestresst, aber sie hält zu ihm und geht arbeiten und ganz nebenbei bringt sie ihm bei, wie man liest und schreibt.
Doch auch für Oliver ist es nicht einfach: sein größtes Problem: er schämt sich. Die Tatsache, dass er nicht lesen und schreiben kann, ist ihm überaus peinlich. Er steht immer unter dem Druck, seine Probleme zu verstecken. Er lebt ständig mit der Angst, ausgelacht, gemobbt oder einfach nur ausgeschlossen zu werden.
Meike jedoch ist der Meinung, Oliver sei noch jung, 22 Jahre ist er, jetzt sei noch Zeit zum Lernen. Der Plan, der am Kühlschrank hängt, ist ein wichtiges Teil im Leben der Beiden. Jeden Tag zu einer festen Zeit üben , bis er es kann, ihr Moto ist „Übung macht den Meister“. Oliver fällt es schwer, doch er kämpft für einen Traum: selbstständig zu sein, es Tages eine Familie zu gründen und Verantwortung zu übernehmen.
Irgendeines Tages wird sein Traum in Erfüllung gehen, und bis es soweit ist, unterstützt ihn Meike. Gestern hat Oliver über ein Angebot der Volkshochschule gehört, wo man einen Alphabetisierungskurs belegen kann. Meike ist froh, denn nun haben sie ein bisschen mehr Zeit füreinander und Oliver bekommt eine neue Chance, die er mit strahlendem Gesicht annimmt.
Kurz bevor er am nächtsen Tag mit dem Rad losfährt, zu seiner ersten Stunde, dreht er sich nocheinmal um. „Danke, Meike, ohne dich hätte ich es nie geschafft.“
Es liegt noch viel Arbeit vor Oliver, jedoch zusammen mit Meike hat er einen Grundstein für ein positives Leben gesetzt.
Melanie
Ich saß auf der ersten Stufe. Es begann zu schneien. In dem Moment kamen Kinder aus ihren Häusern gestürmt und fingen an, im Schnee zu spielen. Ich saß einfach da und ließ die Schneeflocken auf meine Hand fallen. Die Schneeflocken waren schön, sie fühlten sich kalt und gut auf meiner Hand an. Ich bin mir nicht ganz sicher, wie lange ich dort saß, doch auf einmal war die Sonne fast weg und das Gelächter von den Kindern war verschwunden. Ich musste lachen und konnte nicht mehr aufhören. Alles war so perfekt und ich war zum ersten Mal in meinem Leben richtig glücklich.
Es fing alles vor ein paar Jahren an. Ich hatte keine Freunde, keine Geschwister und meine Eltern waren gestorben. Ich war ganz allein, doch für mich war das normal. Ich war anders. Schon immer gewesen. Leider starben meine Eltern, als ich erst drei war. Ich musste in ein Kinderheim für Arme. Dort gab es keine richtige Schule, keine guten Lehrer, niemand kümmerte sich um mich und deshalb lernte ich nie lesen und schreiben. Dabei war ich gar nicht dumm. Aber alles fiel mir schwer. Mir war das im späteren Leben so peinlich. Ich konnte kein Konto eröffnen, keine Uhren lesen und keine gute Arbeitsstelle bekommen. Ich konnte ja nicht lesen.
Als ich 24 war, nahm ich mehrmals am Tag die LUAS um mir das „Leben“ beizubringen. Es gab einen Plan im LUAS, wo die ganzen Haltestellen draufstanden. An jeder Station sagte immer eine Stimme „Sie sind in Windy Arbour“ oder „Sie sind in Beechwood“. Ich dachte, das würde mir helfen, die Buchtsaben zu entziffern, doch es funktionierte nicht. „Brauchen Sie Hilfe? Suchen Sie nach etwas?“ Ich dehte mich um. Vor mir stand ein junger Mann, etwa Mitte Zwanzig, braune Haare, grüne Asugen, gut angezogen.
„Um, eigentlich nicht. Ich willte nur.., ehm, ich meine..“ stammelte ich. „Haha“ lachte er. „ Na gut, ich heiße Stefan. Und Sie?“ fragte er mich. „Ich? Ich heiße Lisa“. „Lisa. Lisa. Sehr schön. Sagen Sie, hätten Sie vielleicht Lust mit mir eine Tasse Kaffe zu trinken? Ich würde mich sehr über Gesellschaft freuen“, fragte er.
Ich bin mir nicht ganz sicher, warum ich zum Kaffe trinken gegangen bin. Vielleicht, weil er so gut aussah. Vielleicht, weil ich ja nur Kaffee bestellen musste und das konnte ich auch so. Ich bin also mit ihm mitgegangen. Und das dann noch öfter.
Doch dann geschah es, wie es kommen musste. „Du trinkst immer nur Kaffee. Du sagtest doch, du seist durstig. Hier, nimm die Getränkekarte“ sagte er und reichte sie mir, „Nein“, rief ich, „ich meine wirklich, der Kaffee schmeckt prima. Und ich habe keinen Durst mehr. Nein danke.“ Er sah mich merkwürdig von der Seitze her an. Er wusste es. Ich wusste, dass er es wusste.
Die nächsten drei Jahre waren himmlisch. Ich erzählte Stefan alles. Er hatte es schon geahnt. Er hörte mir zu und wollte mir dann auch helfen. „Lisa, ich liebe dich, und ich will dir beim Lesen und Schreiben halfen. Ich bin Lehrer. Wir schaffen das schon“. So fing es an. Jeden Tag musste ich etwas lesen und schreiben. Es hat lange gedauert und wir haben uns so oft gestritten. Aber auch wieder versöhnt.
Fünf Jahre später, und wir sind immer noch zusammen. Seit gestern sogar verlobt.
Es wird dunkel, ich gehe rein.
Anna
Der Abschiedsbrief von Hanna
Jungchen,
deine Kassetten habe ich immer noch. Ich habe jede einzelne gehört. Deine Stimme ist tiefer geworden, Jungchen. Hast du jemals an früher gedacht? An das Baden und an das Lieben? Ich wollte dir sagen, dass ich weggehen wollte, doch du warst bei deinen Freunden und dahin hast du auch gehört. Das war am See, an dem Tag, an dem ich dann weg gegangen bin.
Auch beim Prozess habe ich dich gesehen, wie gut du da in deinem Anzug ausgesehen hast. Muss dich wohl schockiert haben.
Alles, was ich getan habe, ist unentschuldbar, und ich verlange keine Vergebung. Doch möchte ich, dass du weisst, dass ich es bereue. Ich habe nachgeforscht und ich verstehe jetzt viel mehr. Das hat mich zu einer Entscheidung gebracht. Als wir uns gesehen haben, war es nicht so wie früher, und es wird auch nie wieder so sein.
Also nehme ich dir die Bürde ab, dich um mich zu kümmern, und bitte auch alle um Verzeihung, die wegen mir Familie, Freunde und Liebende verloren haben.
Leb wohl.
Deine Hanna
Lara
Lieber Michael,
wegen dir kann ich jetzt lesen. Wegen dir kann ich jetzt schreiben. Du hast mir viel geholfen. Ich kann mich dafür nicht genug bedanken.
Die letzten paar Jahre im Gefängnis waren immer gleich. Ich habe nicht viel gemacht, doch ich musste immer an dich denken und an unseren Sommer, 1959. Ich hatte eine schäme Zeit. Ich kann dich verstehen, wenn du mir nicht verzeihst, aber ich habe deine Hilfe geschätzt.
Bald komme ich raus. Soll neu anfangen, doch du kannst dir nicht vorstellen, wie ich mich dabei fühle. Du hast ein Leben, ein Haus, eine Arbeit. Ich habe gar nichts. Nicht einmal mein Jungchen.
Ich kann mir kein neues Leben vorstellen. Ich bin älter geworden. Ich gehöre nichtmehr zu euch. Für andere geht das Leben weiter, weil sie einen Grund haben zum Leben. Aber ich habe kein Leben mehr. Ich würde es draussen nicht lange aushalten. Es tut mir Leid, aber ich kann es einfach nicht mehr ertragen.
Danke für die Kassetten, den Brief und deine Hilfe.
Es hat alles keinen Sinn mehr. Mein Leben ist schon lange vorbei.
Weine nicht Jungchen. Ich habe etwas für dich hinterlassen.
Hanna
Anna